
Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl sind zum 79. Mal als Ivo Batic und Franz Leitmayr zu sehen. Im Fall eines vermissten Teenagers treffen sie auf eine Künstliche Intelligenz namens “MARIA”. Wir klären die Frage: Lohnt sich der Tatort KI ?
Worum geht es im neuen Münchner Tatort des Bayerischen Rundfunks (BR)?
Die 14-jährige Melanie verschwindet spurlos. Bei ihren Ermittlungen entdecken die Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr ihren Laptop, aus dem eine Stimme nach Melanie fragt. Niemand kann sich erklären wie dieses Programm, welches sich als hochkomplexe Künstliche Intelligenz namens „MARIA“ entpuppt, auf den Laptop des Mädchens gelangen konnte. Auf Nachfrage am Münchner „Leibniz-Rechenzentrum“ stellt sich wenig später heraus, dass das EU-Forschungsprojekt gehackt wurde. Die Kommissare sehen sich bald mit den Fragen konfrontiert: Kann ein Computerprogramm als Zeuge vernommen werden und wie viel weiß „MARIA“ über das Verschwinden von Melanie?
Lohnt sich der Tatort KI – Welche Themen kommen zum Vorschein?

Das überstrahlende Thema dieser Tatort-Episode ist natürlich die Künstliche Intelligenz. Konkreter: Gelingt es einer Maschine den „Turing-Test“ zu bestehen? Der sogenannte „Turing-Test“ untersucht, ob ein Computer wie ein menschliches Wesen denkt. Kann eine Person nicht unterscheiden, ob es sich bei ihrem Gegenüber um einen Menschen oder eine Künstliche Intelligenz handelt, ist dieser Test bestanden. Dieser Test ist bis heute noch nicht erfolgreich durchgeführt worden.
Sehr interessant dabei ist der Umstand, ob eine KI als Zeuge befragt und als Beweismittel vor Gericht zugelassen werden kann. Diese Herangehensweise an das Thema sorgt für einen großen Pluspunkt in dieser Tatort-Folge.
Darüber hinaus bewegt sich der Tatort KI aber auch auf menschlicher Ebene. Es geht um Einsamkeit, Traurigkeit, Verlust und Rache.
Lohnt sich der Tatort KI: Schon wieder ein Tatort über Künstliche Intelligenz – nervt das nicht?

In diesem Fall kann ich das klar verneinen. Die Autoren Stefan Holtz und Florian Iwersen (Tatort DIE LETZTE WIESN) erschaffen mit „MARIA“ eine KI, die ohne merkwürdigen Avatar auskommt und die der Zuschauer in den 90 Minuten liebgewinnt. Mit Antje Widdra wurde dieser KI auch eine sehr angenehme Stimme verpasst. Im Laufe der Zeit ertappt man sich, gar nicht mehr zu merken, dass es sich um ein Computerprogramm handelt, weil es direkt in die Ermittlungen eingebunden wird.
Und vor allem: Es entwickelt kein Eigenleben wie in der Stuttgarter Folge HAL oder dem Bremer Tatort ECHOLOT. Jegliche Missetaten in KI sind auf den Menschen zurückzuführen. Diese Tatsache macht die Geschichte von KI durchweg angenehm und plausibel.
Wie agieren Batic und Leitmayr mit der Künstlichen Intelligenz?

Das Ermittlerduo lässt sich schnell darauf ein und geht auch zügig über, „MARIA“ als Zeugin für das Verschwinden der 14-jährigen anzusehen. Ab und an platzt Franz Leitmayr bei den Verhören mit der KI oft der Kragen, weil er nicht die Antworten erhält, die er hören möchte. Das sorgt in diesem Tatort für heitere Momente. Wenn Leitmayr versucht, über einen Bibelvers aus dem Matthäusevangelium, „MARIA“ auf seine Seite zu ziehen oder ihr vorwirft, sie wisse keine Definition für einen Sandhaufen, erkennt man, dass sich im Vorfeld jemand Gedanken hat.
Batics Kernkompetenz konzentriert sich hingegen auf den Umgang mit realen Personen. Dennoch funktioniert das Zusammenspiel der Münchner Ermittler auch in ihrem 79. gemeinsamen Tatort wunderbar.
Lohnt sich der Tatort KI – Welche Figuren spielen neben „MARIA“ noch eine Rolle?
Nun werden manche fragen, weshalb Batic und Leitmayr in einem Vermisstenfall die Ermittlungen aufnehmen. Der Grund ist recht einfallslos: Der Vater der Vermissten ist ein „Freund“ von Batic. Leitmayrs passender Kommentar: „ich kenn dich 25 Jahre, ich hab noch nie von dem gehört.“ Wobei an dieser Stelle angemerkt werden darf, dass Leitmayr hier mindestens zwei Jahre unterschlägt, ermitteln beide doch seit 1991 am Tatort München.

Dazu gesellen sich in der Figurenkonstellation
- ein flippiges, nervendes IT-Mädchen, die ihr Abitur mit 15 erhielt,
- ein Sexualstraftäter, der ganz oben auf der Liste der Verdächtigen auftaucht und
- ein paranoider Hacker, der ekelige Dinge mit Augen filmt.
Die menschlichste und interessanteste Erscheinung in diesem Tatort bleibt die KI.
Wo liegen die Schwächen im BR-Tatort KI?

Die Schwächen sind wirklich marginal. Zum einen fehlt an manchen Stellen die Spannung, weil sich der Film eher auf bildästhetische Aspekte konzentriert oder Emotionen gezeigt werden müssen. Zum anderen ist die Auflösung der Vermisstensache, die im Laufe des Filmes zum Mordfall wird, ein Schwachpunkt. Diese wird in Rückblenden geschildert, ist dennoch schwer zu begreifen.
Lohnt sich der Tatort KI?
Auf jeden Fall.
Der Tatort KI kommt zwar erneut mit einer Künstlichen Intelligenz um die Ecke, es gelingt ihm aber mit einem nahezu menschlichen Computerprogramm für sich einzunehmen. Der Krimi von Regisseur Sebastian Marka ist durchweg – auch in den ruhigen Momenten – interessant, ohne dabei eine atemberaubende Spannung zu entwickeln.

Ein Großteil der Zuschauer wird mit dem Tatort KI klarkommen, denn die Macher verzichten auf ausgedehnten technischen Schnickschnack und konzentrieren sich eher auf einen klassischen Whodunit-Krimi mit origineller Zeugin. Ob er allerdings den Ansprüchen der IT-Spezialisten auf der heimischen Couch genügt – dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen.
FAZIT: Der Tatort KI ist ein angenehmer und – bis auf die Auflösung – gut durchdachter Sonntagskrimi, dessen Star „MARIA“ in Erinnerung bleiben wird.
Ich vergebe in unserer Tatort-Rangliste 8 von 10 Punkten.
Übrigens: „Ein Sandhaufen ist eine Ansammlung von Sandkörnern.“